Keine Pflicht zum Personalgespräch

Bundesarbeitsgericht 23.06.2009 (2 AZR 606/08)

von Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Veröffentlicht im Darmstädter Echo am 02.02.2010

Unter welchen Voraussetzungen dürfen Arbeitnehmer ein Gespräch mit ihrem Arbeitgeber verweigern?

Personalgespräche geben dem Arbeitgeber die Möglichkeit, mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einen offenen Dialog zu treten. Häufig wird dieses Instrument genutzt, um Inhalte wie Zielvereinbarungen, Leistungsbeurteilungen, Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu besprechen. Zugleich gibt ein Personalgespräch dem Arbeitgeber allerdings auch die Möglichkeit, die Arbeitszeiten zu vermindern oder Sonderzahlungen einzuschränken und damit Personalkosten zu reduzieren. In der Vergangenheit war immer wieder ungeklärt, ob und inwieweit Mitarbeiter zu Personalgesprächen erscheinen müssen, insbesondere, wenn es um unangenehme Dinge geht. Nunmehr hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts kürzlich über einen Fall entschieden, der die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien und damit auch die Grenzen des Personalgesprächs absteckt.

Der Fall – was war passiert?

Der Arbeitgeber hatte der Arbeitnehmerin eine Abmahnung erteilt. Die Arbeitnehmerin ist seit 1982 bei dem Arbeitgeber als Altenpflegerin beschäftigt. Sie hat einen vertraglichen Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt. Nachdem der Arbeitgeber im Hinblick auf wirtschaftliche Schwierigkeiten für das Jahr 2005 für einen Teil der Arbeitnehmer eine Kürzung der Sonderzahlung um 46 % erwirkt hatte, versuchte er eine entsprechende Kürzung im Jahr 2006 bei allen Arbeitnehmern durchzusetzen. Eine zu diesem Zweck einberufene Personalversammlung führte nicht zu dem gewünschten Ergebnis. Daher lud der Arbeitgeber die Klägerin mit Schreibem vom 03.11.2006 zu einem Personalgespräch ein.

Das Schreiben hatte folgenden Wortlaut:
„Personalgespräch
Sehr geehrte Frau I.,
die im vergangenen Jahr aufgrund der wirtschaftlichen Situation der D. abgeschlossene Notlagendienstvereinbarung muss zur wirtschaftlichen Konsolidierung fortgesetzt werden. Geschäftsführung und Mitarbeitervertretung der D. haben sich daher über eine Fortführung der Notlagenregelung verständigt. Mitarbeiter mit BAT-Verträgen werden von dieser Dienstvereinbarung zwar nicht erfasst, über 75 % der BAT-Mitarbeiter haben allerdings bereits einer entsprechenden einzelvertraglichen Regelung zugestimmt. Ich möchte mit Ihnen daher ein Gespräch führen und lade Sie in Abstimmung mit der Geschäftsführung der D. für Montag, den 13.11.2006 um 10.45 Uhr in mein Büro im Personalservice ein. Die Mitarbeitervertretung wird ebenfalls an dem Gespräch teilnehmen. Die Teilnahme an dem Gespräch ist Dienstzeit und verbindlich. Vielen Dank.“

Die Klägerin war nur bereit, gemeinsam mit ihren Kollegen ein solches Personalgespräch zu führen und verweigerte ein Einzelgespräch. Der Arbeitgeber mahnte dieses Verhalten ab.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 23.06.2009 (Az. 2 AZR 606/08) einen Anspruch der Klägerin auf Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte bejaht. Da eine Abmahnung den Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen behindern kann, kann er deren Beseitigung verlangen, wenn die Abmahnung

  • formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist,
  • unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält,
  • auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Sachverhaltes beruht oder
  • den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

Das Bundesarbeitsgericht hat vorliegend die Verletzung einer arbeitsvertraglichen Pflicht verneint. Die Arbeitnehmerin war demnach nicht verpflichtet, an dem Personalgespräch teilzunehmen. Zunächst wird durch das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass der Arbeitgeber nach § 106 GewO gegenüber allen Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Das Weisungsrecht betrifft danach zum Einen die Konkretisierung der Hauptleistungspflicht. Es ermöglicht dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer bestimmte Aufgaben zuzuweisen und den Ort und die Zeit ihrer Erledigung verbindlich festzulegen. Darin erschöpft sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers jedoch nicht. Vielmehr tritt eine nicht abschließend aufzählbare, je nach den Umständen näher zu bestimmende Vielzahl von Pflichten hinzu, deren Erfüllung unumgänglich ist, um den Austausch der Hauptleistungspflichten sinnvoll zu ermöglichen (sogenannte leistungssichernde Verhaltenspflichten). Auch hierauf kann sich das Weisungsrecht beziehen. Dagegen erstreckt sich das Weisungsrecht nicht auf die Bestandteile des Austauschverhältnisses, also die Höhe des Entgelts und den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung.

Entsprechend den bereits durch das Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen war das Personalgespräch vorliegend ausschließlich auf eine Verhandlung zur Vertragsänderung gerichtet. Entsprechend den Feststellungen des Bundesarbeitsgerichts musste die Klägerin das Einladungsschreiben zum Personalgespräch so verstehen, dass der Arbeitgeber mit ihr eine Vereinbarung zur Reduzierung des 13. Gehalts abschließen wollte, wie sie von 75 % der Betroffenen bereits akzeptiert worden war. Die Weisung des Arbeitgebers zum Personalgespräch zu erscheinen war damit nicht durch das Weisungsrecht gedeckt, da kein Bezug zur Arbeitspflicht der Klägerin bestand. Auch betraf die Pflicht zur Teilnahme am Personalgespräch keine leistungssichernden Nebenpflichten. Das Thema des Gesprächs hatte keinen inhaltlichen Bezug zu den Arbeitspflichten der Klägerin. Es betraf die Vergütung, nicht die Arbeitsleistung. Ebenso wenig war die kollektive oder die disziplinarische Seite der Arbeitspflicht betroffen. Es ging nicht um die Vereinbarung der Zusammenarbeit mit anderen Arbeitnehmern in zeitlicher, räumlicher oder anderer Hinsicht. Fragen der betrieblichen Ordnung standen nicht zur Debatte. Die Weisung wurde auch nicht deshalb zu einer auf die Arbeitsleistung bezogenen Anordnung, weil der Arbeitgeber die Zeit des Gesprächs als Arbeitszeit deklarierte. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, zu jedwedem Gespräch mit dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stehen, besteht nach § 106 GewO gerade nicht. Vielmehr begrenzt das Gesetz das Weisungsrecht auf „Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung“ sowie auf „Ordnung und Verhalten im Betrieb“. Gespräche, die mit diesen Zielen in keinem Zusammenhang stehen, können danach nicht durch einseitige Anordnung zu verbindlichen Dienstpflichten durch den Arbeitgeber erhoben werden. Die Arbeitnehmerin hatte daher zu Recht die Teilnahme an dem Personalgespräch verweigert und durfte deshalb nicht abgemahnt werden.

Auswirkung auf die Praxis für Arbeitnehmer

Die Klarstellung durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist zu begrüßen, da hierdurch ein Stück mehr Rechtssicherheit für die Arbeitnehmer geschaffen wird. Bevor eine Arbeitnehmerin bzw. ein Arbeitnehmer jedoch der Anordnung zur Teilnahme an einem Personalgespräch nicht Folge leistet, bedarf es einer sorgfältigen Prüfung, ob dem Arbeitnehmer ein Verweigerungsrecht zusteht. Nur so kann sichergestellt werden, dass unangenehme Folgen wie eine Abmahnung oder sogar Kündigung vermieden werden können bzw. der Arbeitnehmer im Falle des Ausspruchs einer Abmahnung oder Kündigung sich erfolgreich gegen diese wehren kann. Festzuhalten bleibt, dass der Arbeitnehmer nicht verpflichtet werden kann, an einem Personalgespräch teilzunehmen, wenn es dabei um die Abänderung des wesentlichen Inhalts des Arbeitsvertrags gehen soll. Möchte der Arbeitnehmer an einem für ihn „schwierigen“ Personalgespräch teilnehmen, so sollte er darauf bestehen, dass ein Mitglied des Betriebsrats bzw. Personalrats hieran teilnimmt. Der Arbeitnehmer kann regelmäßig auch verlangen, dass der anberaumte Termin zur Durchführung des Personalgesprächs verlegt wird, wenn der Kollege aus dem Betriebsrat/Personalrat verhindert ist.

Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Betriebsräte

Schleiermacherstraße 10
64283 Darmstadt
Tel.: 0 61 51 / 951- 600
Fax: 06151 – 951- 60-20
www.ra-baer-arbeitsrecht.de
arbeitnehmeranwalt@ra-baer.de

Hinweis: Der vorstehende Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Markus Bär, Schleiermacherstraße 10, 64283 Darmstadt. Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.