Außerordentliche Kündigung wegen Gutschrift von payback-Punkten

Anspruch der Arbeitnehmer auf Gleichbehandlung bei Pflichtverletzungen?

Mit Urteil vom 10.09.2008 hat das Hessische Landesarbeitsgericht (Az. 6 Sa 384/08) eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung eines Arbeitgebers für unwirksam erklärt, weil der substantiierte Vortrag des Arbeitnehmers ergeben hat, dass andere Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzung (Missbrauch von payback-Punkten) nicht gekündigt wurden und der Arbeitgeber eine differenzierende Behandlung ersichtlich nicht vorgetragen hat.

Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 10.09.2008

von Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Betriebsräte

Der Fall – was war passiert?

In einem großen Einzelhandelsunternehmen warf der Arbeitgeber den Mitarbeitern einen Missbrauch eines payback-Sondercoupons über 500 payback-Punkte (entspricht einem Wert von 5 €) vor. Nach Anhörung der Mitarbeiter sprach der Arbeitgeber eine außerordentliche hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Die gekündigten Mitarbeiter haben hiergegen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht. Zu ihrer Entlastung haben die Arbeitnehmerin vorgetragen, dass entgegen einer schriftlichen Organisationsanweisung durch die Teamleiterin und den Marktleiter widersprüchliche Hinweise im Zusammenhang mit der Einlösung des payback-Coupons gegeben worden seien. Außerdem habe der Arbeitgeber in anderen namentlich benannten Fällen von 11 weiteren Mitarbeitern, unter anderem auch der Teamleiterin und der stellvertretenden Marktleiterin, trotz ebenfalls festgestellter mehrmaliger Einlösung des Sondercoupons über 500 payback-Punkte keine Kündigung ausgesprochen.

Wie hat das Landesarbeitsgericht entscheiden?

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Arbeitgebers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Die gekündigten Arbeitnehmer haben  sich damit erfolgreich gegen die Kündigung zur Wehr gesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass vorliegen einer Kündigung wegen Verstoßes gegen den ultima-Ratio-Grundsatz unwirksam war und zuvor der Ausspruch einer Abmahnung erforderlich gewesen wäre. Der Arbeitgeber habe nicht klar und widerspruchsfrei belegen können, dass die Kassiererinnen zur Vernichtung des Sonder-coupons nach der erstmaligen Einlösung aufgefordert worden seien. Eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung sei insbesondere auch deshalb erforderlich gewesen, weil der Arbeitgeber selbst zu erkennen gegeben habe, die unterstellte Pflichtverletzung der gekündigten Arbeitnehmer sei nicht so schwerwiegend gewesen, dass das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt werden könne. Die Arbeitnehmerseite habe dargelegt, dass auch in anderen Fällen eine Mehrfachverwendung des Sondercoupons nicht zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt habe. Diesem Vortrag sei der Arbeitgeber nicht substantiiert entgegen getreten. Zwar sei der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Beurteilung einer Kündigung nicht unmittelbar anzuwenden, weil er mit dem Gebot der umfassenden Abwägung der Umstände des Einzelfalls – wie er für eine Kündigung erforderlich ist – nur beschränkt zu vereinbaren sei. Der Gleichbehandlungsgrundsatz könne jedoch mittelbare Wirkung erzielen.

Spricht ein Arbeitgeber mehrere Kündigungen wegen eines gleichartigen Kündigungsgrundes aus, so hänge es von den bei jeder Kündigung zu berück-sichtigenden Besonderheiten ab, ob die Kündigung aller Arbeitnehmer gerechtfertigt sei. Bei einer gleichen Ausgangslage muss der Arbeitgeber, der nach einer selbst gesetzten Regel verfahre, darlegen, weshalb er in einem Fall hiervon abweiche. Der Arbeitgeber darf hierbei nicht ohne sachliche Differenzierungsgründe bei einem von mehreren Arbeitnehmern gemeinsam begangenen Prämienbetrug nur zwei Arbeitnehmern kündigen und es bei den anderen ebenso belasteten Arbeitnehmern bei einer Verwarnung belassen. Vielmehr ist der Arbeitgeber in einem solchen Fall verpflichtet, die Gründe darzulegen, die eine differenzierende Behandlung im Lichte des Kündigungsschutzes sachlich rechtfertigen.
Nach den Feststellungen des Hessischen Landesarbeitsgerichtes hat der Arbeitgeber vorliegend keine sachlichen Gründe im Sinne des Kündigungsschutzes dargelegt. Die klagenden Arbeitnehmer haben deshalb ihren Rechtsstreit gegen die Kündigung gewonnen.

Auswirkungen auf die Praxis für Arbeitnehmer

Das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts belegt eindrucksvoll, wie wichtig ein substantiierter Tatsachenvortrag der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess ist. Letztendlich ist jede verhaltensbedingte Kündigung als Einzelfall zu entscheiden. Der im Arbeitsrecht geltende Gleichbehandlungsgrundsatz kann jedoch mittelbar die Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers begrenzen, wenn Arbeitnehmer anhand von Tatsachen konkret vortragen können, dass andere Arbeitnehmer in gleichgelagerten Sachverhalten keine Kündigung erhalten haben. Die sehr differenzierende Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts folgt gradlinig dem im Arbeitsrecht geltenden ultima-Ratio-Prinzip, wonach der Ausspruch einer Kündigung immer das schärfste und letzte Mittel darstellt.

Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Betriebsräte

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