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Die Ausklammerung von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl beim Kündigungsschutz

Stand: September 2004

I. Einführung

Mit dem am 01.01.2004 in Kraft getretenen Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (vgl. zur umfassenden Darstellung des neuen Kündigungsschutzverfahrens Kossens, NWB F. 26 S. 4159 ff.) hat der Gesetzgeber wieder zu der alten „Leistungsträgerklausel“ aus dem arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.09.1996 (BGBl 1996 I S. 1476) zurückgefunden. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG n. F. sind Arbeitnehmer (AN) nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, wenn deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Die Neuregelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG entspricht damit wörtlich der des Jahres 1996, die eingeführt durch das Beschäftigungsförderungsgesetz vom 01.10.1996 bis 31.12.1998 gültig war. Für den Zeitraum vom 01.01.1999 bis zum 31.12.2003 wurde durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 (BGBl 1998 I S. 3843) der Rechtszustand bezüglich der Sozialauswahl in § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 KSchG wieder auf den Rechtszustand vor dem Beschäftigungsförderungsgesetz gebracht, um so mehr „soziale Gerechtigkeit“ herzustellen. Die seinerzeit ab dem 09.07.1976 bis zum 30.09.1996 gültige Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG lautete: „Satz 1 gilt nicht, wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer bedingen und damit der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen“.

II. Prüfungsreihenfolge bei der Sozialauswahl und Bestimmung des „berechtigten betrieblichen Interesses“

Die „alte“ Neuregelung führt zurück zu der seinerzeit heftig diskutierten Frage, ob sie erfordert, den dreistufigen Prüfungsaufbau bei der Sozialauswahl zu revidieren (Bader, NZA 2004 S.65; ders., NZA 1996 S. 1125 zum Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes). Dieser Prüfungsaufbau sieht vor, dass zunächst bestimmt wird, welche AN vergleichbar sind und damit für die Sozialauswahl überhaupt in Betracht kommen. Ob AN vergleichbar sind, richtet sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen. Maßgeblich ist zunächst die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit der AN. Dafür ist jedoch nicht nur die Identität des Arbeitsplatzes ausschlaggebend, sondern auch relevant, ob der AN aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann (BAG, Urteil vom 25.04.1985 = 2 AZR 140/84).

Unter den vergleichbaren AN wird sodann die eigentliche Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgenommen. Die bisher zwingend zu beachtenden Kriterien der Sozialauswahl Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten wurden nun ergänzt um die Schwerbehinderung des AN. Die Beachtung weiterer Kriterien wie etwa der Arbeitsmarktchancen ist damit aber nicht völlig ausgeschlossen. Auch die Gesetzesbegründung stellt klar, dass „die Beschränkung auf die Grunddaten die Beachtung unbilliger Härten im Einzelfall nicht ausschließt“ (vgl. Kossens a. a. O. sowie BAG, Urteil vom 05.12. 2000 2 AZR 549/01 zur Durchführung der Sozialauswahl). Abschließend wird geprüft, ob das Ergebnis der Sozialauswahl über § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu korrigieren ist (Bader a. a. O.). Dass vorliegender Streit nicht nur akademischer Natur ist, soll folgendes Beispiel veranschaulichen (von Zwanziger, AiB 2004 S. 10 übernommen).

Ein Unternehmen beschäftigt neben anderen AN neun Monteure. Es führt gelegentlich auch Aufträge im Ausland aus, die sehr lukrativ sind. Dafür sind Englischkenntnisse erforderlich. Ausreichend ist, dass ein Monteur sie hat. Die Monteure bringen folgende Sozialdaten und Kenntnisse mit:

Monteur Betriebszugehörigkeit in Jahren Lebensalter Unterhaltsverpflichtungen für Personen Englischkenntnisse
A 10 55 1 Nein
B 9 54 0 Nein
C 9 54 0 Nein
D 8 50 2 Nein
E 8 45 3 Ja
F 6 44 2 Nein
H 6 42 2 Nein
I 5 41 1 Nein
J 2 32 0 Ja

Entlassen werden müssen vier Monteure. Das wären nach den Kriterien der Sozialauswahl F, H, I und J. Betriebliche Interessen stünden dem nicht entgegen, da E über Englischkenntnisse verfügt. Würde man es demgegenüber dem Arbeitgeber (ArbG) zunächst erlauben, die AN zu bestimmen, die nicht in die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten einzubeziehen sind (sogenannte Leistungsträger), so könnte er J benennen. Nach sozialen Gesichtspunkten wären dann E, F, H und I zu kündigen. Der sozial schutzwürdigere E wäre zu entlassen.

1. Prüfungsaufbau bei der Sozialauswahl und Bestimmung des berechtigten betrieblichen Interesses

Es wird die Auffassung vertreten, dass es nach der Neufassung des Satzes 2 des § 1 Abs.3 KSchG zwar bei einem dreistufigen Prüfungsaufbau bleibt. Nunmehr ist jedoch nach der Feststellung, welche AN vergleichbar sind, zunächst zu klären, welche AN aus diesem Kreis aufgrund der Regelung des Satzes 2 wieder ausscheiden. Erst in der dritten Stufe ist dann innerhalb des verbleibenden und möglicherweise kleineren Personenkreises die eigentliche Sozialauswahl vorzunehmen. Diese Neuregelung der Prüfungsreihenfolge ergibt sich, obwohl die Reihenfolge der Sätze beibehalten wurde, aus der Formulierung, dass die in Satz 2 näher beschriebenen AN nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind (Bader a. a. O.; v. Hoyningen Huene/ Linck, DB 1997 S. 43; Wlotzke, BB 1993 S. 418). Dadurch, dass der Gesetzgeber nunmehr wieder zu der alten Fassung des Gesetzes aus der Zeit vom 01.10.1996 bis zum 31.12.1998 zurückgekehrt ist, soll deutlicher als bisher klargemacht werden, dass bestimmte AN aus der Sozialauswahl herausgenommen werden können, wenn ihre Beschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (Bauer/Krieger, in: Kündigungsrecht Reformen 2004, S. 134; ebenso Meixner, Neue arbeitsrechtliche Regelungen 2004, S. 27; Thüsing/Stelljes, BB 2003 S. 1675).

Aufschlussreich ist vor allem aber der neue Wortlaut in Gegenüberstellung zum bisherigen. So ist nicht mehr von „Bedürfnissen“, sondern von „Interesse“ und auch nicht mehr davon die Rede, dass jene die Weiterbeschäftigung „bedingen“ und der Einbeziehung „entgegenstehen“, sondern davon, dass die Weiterbeschäftigung im betrieblichen Interesse „liegen“ muss; ein Entgegenstehen ist gar nicht mehr Voraussetzung. Daraus ist zu schließen, dass die Herausnahmeentscheidung nach der ab 01.01.2004 geltenden Rechtslage nicht ebenso dringlich sein muss wie nach der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung. Es reichen nach dem Maßstab des berechtigten betrieblichen Interesses bereits reine Nützlichkeitserwägungen aus, um die Herausnahme aus der Sozialauswahl zu gestatten (Thüsing/Stelljes a. a. O.). Andere sehen das betriebliche Interesse als berechtigt an, wenn der angestrebte Vorteil ein solches Gewicht hat, dass es gerechtfertigt ist, deswegen die Grundsätze zur Sozialauswahl nicht zur Anwendung kommen zu lassen. Es hat also eine generelle Interessenabwägung stattzufinden, nicht jedoch eine individuelle Abwägung zwischen Sozialen und betrieblichen Interessen (Bäder a, a. O.; Bauer/Krieger a. a. O.).

2. Verfassungskonforme Auslegung der „Leistungsträgerklausel“

Die Neuregelung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bedingt weiterhin die bisherige Prüfungsreihenfolge

  • Feststellung des auswahlrelevanten Personenkreises,
  • Durchführung der Sozialauswahl,
  • Herausnähme von Leistungsträgern und anderen AN aufgrund der berechtigten betrieblichen Interessen.

Nur diese Reihenfolge führt zu sachgerechten Ergebnissen und schützt vor Willkür. Für diese Reihenfolge spricht, dass sich an der Systematik des Gesetzes gegenüber der bisherigen Regelung in Satz 2 nichts geändert hat. Auch wenn Satz 2 neu formuliert worden ist, gilt die Regel des Satzes 1, wonach zunächst eine Sozialauswahl zwischen den vergleichbaren AN vorzunehmen ist und von dem Satz 2 die Ausnahme formuliert, indem er die zuvor gefundene Sozialauswahl zugunsten von berechtigen betrieblichen Interessen „durchbrechen“ lässt (Löwisch, NZA 1996 S.1009; Däubler, NZA 2004 S. 177).

Dem entspricht auch eine Entscheidung des BAG (Urteil vom 05.12.2002 2 AZR 693/01), in der festgestellt wird, dass eine Vermutung dafür spricht, dass die sozialen Gesichtspunkte bei der Auswahl der zu kündigenden AN nicht ausreichend berücksichtigt worden sind, wenn der ArbG den auswahlrelevanten Personenkreis auf 30 % der AN „aus betriebstechnischen Gründen“ beschränkt. Dies legt den Schluss nahe, dass zunächst die Sozialauswahl durchgeführt werden muss und erst anschließend geprüft werden darf, welche AN aus betriebstechnischen Gründen doch nicht zu kündigen sind. Eine mehr oder weniger willkürliche Verkleinerung des auswahlrelevanten Personenkreises führt dagegen zu einer rechtswidrigen Einengung des Kündigungsschutzes. Im Übrigen kann eine Entscheidung, ob eine bestimmte Person als Leistungsträger oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im Betrieb verbleiben muss, sinnvoller Weise erst getroffen werden, wenn feststeht, wer überhaupt von der Kündigung betroffen sein wird.

Zur Bestimmung der Prüfungsreihenfolge und der Herausnahme von „Leistungsträgern“ aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist insbesondere auch auf das Urteil des BAG vom 12.04.2002 2 AZR 706/00 zu verweisen. Dieses Urteil erging zu der alten Fassung der „Leistungsträgerklausel“ in der Zeit vom 01.10.1996 bis zum 31.12.1998 und ist damit in Anbetracht der wortgleichen Fassung des Gesetzestextes seit dem 01.01.2004 transferierbar. Dem steht auch nicht ein angeblich erkennbarer Wille des Gesetzgebers entgegen, der nunmehr einen geänderten Prüfungsaufbau dergestalt erfordert, dass die sogenannten Leistungsträger zunächst zu bestimmen sind, um dann sogleich aus der Sozialauswahl .herausgenommen zu werden, wenn ein berechtigtes betriebliches Interesse vorliegt (so Bader, NZA 2004 S. 33, der nur so das angestrebte Maß an mehr Rechtssicherheit, das die oberste Intention des Gesetzgebers gewesen sei, als realisierbar ansieht).

Ein Blick in die Entwurfsbegründung der Neuregelung lässt nicht erkennen, ob eine Änderung der vorgenannten Rechtsprechung notwendig ist (vgl. Willemsen/Anmuss, NJW 2004 S. 177, die aufgrund der Entwurfsbegründung eine Änderung der Rechtsprechung ebenfalls als „nicht ohne weiteres“ notwendig und nach dem Willen des Gesetzgebers gewollt sehen. Sie sind jedoch der Ansicht, dass der neue Gesetzeswortlaut künftig bereits reine Nützlichkeitserwägungen für das berechtigte betriebliche Interesse reichen lässt).

Dort heißt es lediglich, die Neuregelung mache „deutlicher als bisher, dass bestimmte AN aus der Sozialauswahl herausgenommen werden können, wenn ihre Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt“ (Begr. BT Drs. 15/1204 S. 11). Diese Aussage ist bezogen auf die bis zum 31.12.2003 geltende Regelung auch durchaus zutreffend. Der Gesetzgeber hat die Neuregelung jedoch in Kenntnis des BAG Urteils vom 12.04.2002 zu der wortgleich geltenden Fassung in der Zeit vom 01.10.1996 bis 31.12.1998 übernommen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass eine Änderung der Rechtsprechung durch den Gesetzgeber gerade nicht intendiert ist.

In dem besagtem Urteil vom 12.04.2004 2 AZR 706/00 hat das BAG die Notwendigkeit einer Abwägungsentscheidung zwischen dem berechtigten betrieblichen Interesse und dem sozialen Interesse des AN am Erhalt seines Arbeitsplatzes statuiert. Indem der Gesetzgeber das bloße betriebliche Interesse nicht ausreichen lässt, sondern einschränkend fordert, das Interesse müsse „berechtigt“ sein, gibt er zu erkennen, dass nach seiner Vorstellung auch ein vorhandenes betriebliches Interesse „unberechtigt“ sein kann. Das setzt aber voraus, dass nach dem Gesetz gegenläufige Interessen denkbar und zu berücksichtigen sind, die einer Ausklammerung von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl auch dann entgegenstehen können, wenn sie bei isolierter Betrachtung des betrieblichen Interesses gerechtfertigt wären. Bei diesen gegenläufigen Interessen kann es sich angesichts des Umstands, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a. F. eine Ausnahme vom Gebot der Sozialauswahl statuiert, nur um die Belange des sozial schwächeren AN handeln. Das Interesse des sozial schwächeren AN ist im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a. F. gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des „Leistungsträgers“ abzuwägen: Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein.

Die Gegenmeinung leitet ihre Auffassung im Wesentlichen daraus ab, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a. F. anordne, Leistungsträger seien in die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG a. F., nicht einzubeziehen“, weshalb sie vorab und außerhalb des eigentlichen Auswahlvorgangs zu bestimmen seien. Selbst wenn die Herausnahme der Leistungsträger vorab zu geschehen hat, muss sie doch nach der eindeutigen Anordnung des Gesetzes im „berechtigten“ betrieblichen Interesse liegen. Eben dies setzt wie ausgeführt aber eine Abwägung mit den gegenläufigen sozialen Interessen voraus (so BAG vom 12. 04.2002 a. a. O; ebenso Däubler, NZA 2004 S. 137; gegen eine Abwägungsentscheidung: Willemsen/Anmuss a. a. O.; Bauer/ Krieger a. a. O.; Thüsing/Stelljes a. a. O.).

Der dagegen erhobene Einwand, die Abwägung führe zu kaum lösbaren Schwierigkeiten, da unvergleichbare Dinge in die beiden Waagschalen gelegt werden müssten, ist sicherlich auf den ersten Blick plausibel (so Däubler a. a. O.). Die Erhöhung des Gewinns wie auch die Vermeidung von Verlusten sind ersichtlich in einer anderen Welt angesiedelt als die Einbuße an Lebensqualität, die in den allermeisten Fällen mit einer Kündigung verbunden ist. Die Verschiedenartigkeit der betroffenen Rechtsgüter gilt jedoch in gleicher Weise in allen anderen Fällen der Interessenabwägung im Kündigungsschutzrecht, die aufzugeben sicherlich nicht Ziel der Kritiker ist. Der Sache nach geht es um Wertentscheidungen, die letztlich in der Hand der Gerichte liegen. Auch wenn sich die Nachteile jeder Lösung nicht in derselben „Währung“ zum Ausdruck bringen lassen, ist doch ein qualitativer Vergleich der Art möglich, dass wegen geringer betrieblicher Nachteile der sozial schutzwürdigere AN seinen Arbeitsplatz nicht opfern muss, während dies bei schweren Nachteilen durchaus in Betracht kommen kann (so wörtlich Däubler a. a. O.). Nur die vergleichende Suche nach den sozial am wenigsten schutzwürdigen AN gewährleistet, dass die Sozialauswahl das verfassungsrechtlich gebotene Prinzip der Einzelfallprüfung sicherstellt. Die Aufhebung der so gefundenen Ergebnisse durch betriebliche Erfordernisse bedarf. der ständigen Rechtfertigung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (Kitter, ArbuR 1997 S. 183).

3. Bestimmung der Leistungskriterien und der ausgewogenen Personalstruktur

a) Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen als Leistungsträgermerkmale

Unter den nicht abschließenden Konkretisierungsmerkmalen für das Vorliegen eines berechtigten betrieblichen Interesses nennt das Gesetz zunächst „Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen“ von AN, wobei die Unterschiede in dieser Hinsicht zu anderen vergleichbaren AN erheblich sein müssen. Den ArbG trifft hierbei die Darlegungs und Beweislast; ein lediglich pauschaler, schlagwortartiger Vortrag genügt der Vortragslast nicht (KR Etzel, § 1 KSchG, 6. Aufl. 2002, Rn. 669). Beruft sich der ArbG hinsichtlich eines anderen AN auf die „Leistungsträgerklausel“, so kann sich der gekündigte AN seinerseits auf das vom ArbG bestimmte betriebliche Interesse berufen Aspekt der Selbstbindung des ArbG und geltend machen, er werde diesen Voraussetzungen ebenso oder gar noch besser gerecht, womit er dann regelmäßig zum Kreis der nicht zu Kündigenden zählen würde (Bader, NZA 2004 S. 74; Buschmann, AuR 1996 S. 285, 288).

Die Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen müssen betriebsbezogen sein. Für den Betriebsablauf nicht relevante Kenntnisse oder Fähigkeiten dürfen vom ArbG nicht für die Bestimmung eines Leistungsträgers herangezogen werden. Nebulöse Begründungen wie etwa besondere soziale Kompetenz oder bestimmte Charaktereigenschaften können nicht ausreichen, das berechtigte betriebliche Interesse zu begründen. Wegen der Kenntnisse eines AN wird dessen Nichteinbeziehung in die Sozialauswahl z. B. dann im betrieblichen Interesse liegen, wenn der ArbG ein Arbeitsverfahren auf neue Techniken verbunden mit einer Personalreduzierung umstellt und dieser AN über die dazu benötigten speziellen Kenntnisse anders als andere vergleichbare AN – verfügt (Wlotzke a. a. O.).

Mit Fähigkeiten sind besonders berufliche Qualifikationen und Abschlüsse gemeint, aber auch so das BAG (Urteil vom 26.10.1995, BB 1996 S. 59) im Rahmen der Auslegung eines Tarifvertrags die körperliche Eignung dafür, den Anforderungen der übertragenen oder einer neuen Tätigkeit zu genügen. In diesem Zusammenhang wird die Auffassung vertreten, dass es auch durchaus im betrieblichen Interesse liegen kann, AN weiterzubeschäftigen, deren Krankheitsanfälligkeit erheblich geringer ist als die anderer AN (Bauer/Krieger, a. a. O. S. 137 Rn. 43; vgl. KR Etzel, a. a. O. § 1 KSchG Rn. 676).

Dem ist entgegenzuhalten, dass krankheitsbedingte Fehlzeiten im Zusammenhang mit betrieblichen Interessen nur ganz ausnahmsweise im Rahmen der sozialen Auswahl zu beachten sind, nämlich nur dann, wenn die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung gegeben sind, also eine negative Prognose für die gesundheitliche Entwicklung des AN vorliegt und sich daraus eine unzumutbare betriebsorganisatorische oder wirtschaftliche Beeinträchtigung ergibt (BAG, Urteil vom 24.03.1983, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21).

Erhebliche Leistungsunterschiede konnten schon nach bisherigem Recht zur Herausnahme vergleichbarer AN aus dem Ergebnis der Sozialauswahl führen, allerdings nur, wenn die Weiterbeschäftigung der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs erforderlich war. Nunmehr genügt hierfür ein berechtigtes betriebliches Interesse.

b) Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur

Weiteres gesetzliches Konkretisierungsmerkmal für das Vorliegen eines berechtigten betrieblichen Interesses ist die Weiterbeschäftigung vergleichbarer AN „zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs“. Dieses Merkmal entspricht wieder eins zu eins der Fassung aus dem arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz aus dem Jahre 1996. Einigkeit besteht insoweit, als dass dem ArbG dadurch nicht die Möglichkeit eröffnet wird, eine ausgewogene Personalstruktur herzustellen, sondern lediglich die bestehende zu erhalten (Bader a. a. O.; Däubler a. a. O.). Dies ergibt sich insbesondere aus einem Vergleich mit der Regelung in § 125 Abs. 1.Nr.2 InsO, die dem Insolvenzverwalter zur Sanierung des Betriebs auch die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur gestatten soll. Der soziale Charakter des Kündigungsschutzes soll nicht so weit zurückgedrängt werden, dass betriebsbedingte Kündigungen dazu benutzt werden können, personalpolitische Versäumnisse bei Einstellungen und Versetzungen zu korrigieren (Löwisch a. a. O.). Auch die amtliche Begründung des Regierungsentwurfs spricht davon, es gehe um die Erhaltung der Zusammensetzung der Belegschaft „so wie sie aufgebaut ist“ (BT Drs. 15/1204 S. 11).

Als Rechtsbegriff ist das Kriterium einer ausgewogenem Personalstruktur sehr unbestimmt. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass eine willkürliche Struktur ohne Berücksichtigung der betrieblichen Ziele erhalten werden soll. Dies wäre eine Umgehung der Verpflichtung zur Sozialauswahl, weil ohne die Anknüpfung an den Betriebszweck eine Abwägung der unterschiedlichen Interessen und damit das Wesensmerkmal der Sozialauswahl mit dem bloßen Hinweis auf die Personalstruktur aufgegeben würde. Die „Personalstruktur“ ist nicht mit der „Altersstruktur“ identisch (Däubler a. a. O.). Vielmehr geht es um die Zusammensetzung der Belegschaft nach bestimmten Eigenschaften, zu denen außer dem Alter z. B. das Geschlecht, die Leistungsstärke, aber auch die gezeigte Vertragstreue gehören soll (Däubler, a. a. O.). Im Hinblick auf Alter und Leistungsstärke der AN bedeutet dabei „ausgewogen“, dass es nicht darum gehen kann, dem ArbG eine Betriebsbelegschaft nur aus jüngeren und leistungsstarken AN zu sichern (Wlotzke a. a. O.).

Die Rechtsprechung hat sich bisher nur mit dem Fall der altersmäßigen Ausgewogenheit befasst und hierbei die Bildung von Altersgruppen gebilligt. Hiernach ist die Bildung von Altersgruppen anhand abstrakter Kriterien von je zehn Jahren statthaft. Auch die engere Staffelung kurz vor Eintritt des Rentenalters ist sachgerecht und bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme eines zielgerichteten Eingriffs zur Kündigung bestimmter unliebsamer AN (BAG, Urteil vom 23.11.2000 2 AZR 533/99). Bei der Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur ist allerdings das Verbot der Diskriminierung wegen Alters nach der Richtlinie 2000/78/EG, die bis zum 02.12.2002 hätte umgesetzt werden müssen, zu beachten; denn die Richtlinie verbietet gerade eine ungleiche Behandlung von AN wegen Alters, was aber die Regelung in Abs. 3 Satz 2 ermöglichen würde.

III. Fazit

Die (alte) Neufassung des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG unterliegt den gleichen Auslegungsgrundsätzen wie die seinerzeit wortgleiche Fassung aus dem arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz. Es ist insoweit auf das einschlägige Urteil des BAG vom 12.0 4.2002 2 AZR 706/00 zu verweisen, wonach der ArbG das Interesse des sozial schwächeren AN gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abzuwägen hat. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein. Das berechtigte betriebliche Interesse kann demnach nicht abstrakt als allgemeiner Rechtsbegriff definiert werden, sondern erfordert vom ArbG die Darlegung gewichtiger betrieblicher Vorteile bzw. die Abwendung erheblicher Nachteile, die entstehen würden, wenn sogenannte Leistungsträger nicht aus der Sozialauswahl ausgeklammert würden.

Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Betriebsräte

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