Kündigungsschutzklage bei falscher Kündigungsfrist

Auch bei falscher Kündigungsfrist kann es erforderlich sein, die Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen zu erheben, wenn Annahmeverzugsvergütung erfolgreich geltend gemacht werden soll.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.09.2010, 5 AZR 700/09

von Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Betriebsräte

Bei einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung muss der Arbeitnehmer die Nichteinhaltung der objektiv richtigen Kündigungsfrist innerhalb der fristgebundenen Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG geltend machen, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht als solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt.

Der Fall – was war passiert?

Der am 09.11.1972 geborene Kläger war seit dem 01.08.1995 als Mitarbeiter an einer Tankstelle beschäftigt. Im Frühjahr 2007 übernahm die Beklagte den Betrieb von einer Vorpächterin, für die der Kläger seit dem 01.01.1999 arbeitete.

Mit Schreiben vom 22. April 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2008. Im November 2008 erhob der Kläger Klage auf Leistung der Annahmeverzugsvergütung für die Monate August und September 2008 mit der Begründung, die gesetzliche Kündigungsfrist betrage fünf Monate zum Monatsende, weil er insgesamt mehr als 12 Jahre beschäftigt gewesen sei. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, der bestimmt, dass bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt werden, sei nicht anzuwenden. Die Vorschrift verstoße gegen das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht war erfolgreich.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die von der Beklagten gewählte Kündigungsfrist zu kurz war. Die Beklagte berücksichtigte zum einen nur die Beschäftigungszeit des Klägers bei ihrer unmittelbaren Rechtsvorgängerin ab 01.01.1999. Der Kläger war aber bereits seit dem 01.08.1995 bei einer weiteren Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt. Schon die Berücksichtigung der nach Vollendung des 25. Lebensjahres des Klägers liegende Beschäftigungszeit führte zu einer Kündigungsfrist von vier Monaten zum Monatsende (hier: 31.08.2008). Zudem darf § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht angewendet werden, weil eine derartige Regelung mit dem Recht der europäischen Union unvereinbar ist (EuGH vom 19.01.2010 – C 577/07 – Kücükdeveci).

Die rechtlich gebotene Kündigungsfrist betrug deshalb fünf Monate zum Monatsende (hier: 30.09.2008). Gleichwohl blieb die Klage vor dem Bundesarbeitsgericht ohne Erfolg. Dies deshalb, weil der zuständige Senat die ausdrücklich zum 31.07.2008 erklärte Kündigung der Beklagten weder nach ihrem Inhalt noch nach den sonstigen Umständen als eine Kündigung zum 30.09.2008 auslegen konnte. Der Kläger hätte deshalb die unzutreffend angenommene Kündigungsfrist binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung gerichtlich geltend machen müssen (§ 4 Satz 1 KSchG).
Da das nicht erfolgte, hat die Kündigung das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2008 aufgelöst (§ 7 KSchG). Dementsprechend konnte der Kläger die Annahmeverzugsvergütung für die Monate August und September 2008 nicht mehr nachfordern.

Auswirkungen auf die Praxis für Arbeitnehmer und Betriebsräte

Bei Erhalt einer schriftlichen Kündigung sollte unbedingt innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Wochen (§ 4 Satz 1 KSchG) Kündigungsschutzklage auch dann erhoben werden, wenn der Arbeitnehmer an sich nicht um den Bestand des Arbeitsverhältnisses kämpfen möchte, sondern nur die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist rügen möchte. Durch eine entsprechende Antragsstellung kann auch ausdrücklich nur die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist gerügt werden.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil klargestellt, dass nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage die Nichteinhaltung einer gegebenenfalls zu kurzen Kündigungsfrist nur dann noch erfolgreich erfolgen kann, wenn die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung auch als Kündigung zum nächst zulässigen Termin gelten soll. Bedarf die ausgesprochene Kündigung der Umdeutung in eine Kündigung mit zutreffender Frist, gilt die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nach § 7 KSchG als rechtswirksam und beendet das Arbeitsverhältnis zum „falschen“ Termin, wenn die Kündigungsschutzklage nicht binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erhoben worden ist. Demnach verschenkt der Arbeitnehmer somit gegebenenfalls mehrere Monate ihm noch zustehenden Annahmeverzugslohn.

Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Betriebsräte

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